Armenien, das kleine Land in den Bergen des südlichen Kaukasus,
zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, liegt am Kreuzungspunkt zwischen
Europa, Asien und dem südlichen Orient. Interkontinentale Verkehrswege
(wie Zweige der sogenannten "Seidenstrasse") führen
seit alters her durch die Region. Grosse Völkerwanderungen und
wechselnde Herrschaftsansprüche haben Kultur und geographische
Ausbreitung der armenischen Bevölkerung über Jahrtausende
beeinflusst. Erebuni, das älteste bauliche Zeugnis der Hauptstadt
Eriwan, ist knapp 3000 Jahre alt. Als erster Staat mit christlicher
Staatsreligion feiert Armenien in diesem Jahr das 1700-jährige
Jubiläum. Nur ein Jahrhundert jünger ist die armenische
Schrift, welche die eigene Kultur vor Überfremdung durch herrschende
Kulturen schützen sollte.
Das heutige Armenien als Land ist ein Ergebnis der geopolitischen
Entwicklung insbesondere um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20.
Jahrhundert. Das armenische Siedlungsgebiet, dessen Zentrum in früherer
Zeit weit nach Ostanatolien hineinreichte und sich zeitweise bis
ans Mittelmeer ausdehnte, lag immer wieder im Spannungsfeld sowohl
der lokalen Mächte als auch der geopolitischen Interessen. In
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Situation geprägt
durch die Interessen des russischen Grossreiches im Norden, der europäischen
Kolonialmächte, insbesondere England, im Süden und durch
die lokalen Herrschaftsansprüche des Iran und der Türkei.
Versuche der armenischen Bevölkerung, sich von der türkischen
Herrschaft zu entlasten oder gar zu befreien, führten Ende des
19. und Anfangs des 20. Jahrhunderts zu ihrer Vertreibung und Vernichtung
im ganzen türkisch kontrollierten Gebiet. Seit dieser Zeit bestand
Armenien nur noch als Republik innerhalb der Sowietunien. Grosse
Teile der armenischen Bevölkerung leben über die ganze
Welt verteilt. - Selbst der Berg Ararat, das grösste Wahrzeichen
des Landes, steht im Ausland: vis-à-vis der Hauptstadt Eriwan,
in der Türkei.
Bereits Ende der 1980er Jahre war Armenen eine der ersten Sowietrepubliken,
welche die Unabhängigkeit anstrebte - und dank einer guten wirtschaftlichen
Entwicklung auch die Mittel zur Selbständigkeit zu haben schien.
Im Zuge der Auflösung der Sowietunion kamen aber auch Rivalitäten
zwischen den verschiedenen Nationalitäten, insbesondere mit
dem türkischstämmigen Aserbeidschan, die einerseits auf
den türkischen Kriegszügen und anderseits auf der leninistisch-stalinistischen
Bevölkerungspolitik des frühen 20. Jahrhunderts basieren,
zum Ausbruch. Insbesondere um das hauptsächlich armenisch besiedelte,
aber Aserbeidschan zugeordnete Gebiet von Berg Karabagh entzündete
sich eine Auseinandersetzung, welche anfangs der 90er Jahre zum Krieg
führte und heute noch den Kernstreitpunkt zwischen diesen beiden
Ländern bildet. Die Lösung des Problems wird heute erschwert
durch die inernationalen Interessen an den grossen Erdöl- und
Erdgasvorkommen im Raume des Kaspischen Meeres und durch die nach
wie vor zentrale geopolitische Bedeutung der ganzen Region.
Durch diese jüngsten Entwicklungen wurde Armenien zwischen der
Türkei im Westen, Aserbeidschan im Osten und Georgien im Norden,
das seine Interessen aus wirtschaftlichen Gründen eher mit diesen
beiden Ländern abstimmt, geografisch fast vollständig von
der übrigen Welt isoliert; ein schmaler, gebirgiger Übergang
zum Iran im Süden bildet daher eine der wichtigsten Verbindung
nach aussen.
Nachdem durch das Erdbeben von 1988 die eigene Energieproduktion
weitgehend zusammenbrach und durch den Krieg der Zufluss von Erdöl
praktisch zum Erliegen kam, brach die aufblühende armenische
Wirtschaft vollständig zusammen. Die Arbeitslosigkeit liegt
heute bei ca. 80 %; viele Armenier sind seither zusätzlich ins
Ausland gezogen. Das Land lebt heute unter schwierigsten Bedingungen
hauptsächlich von einer bescheidenen Landwirtschaft zur Selbstversorgung
und von der Arbeit im umliegenden oder fernen Ausland bzw. von der
Unterstützung durch Armenier, die im Ausland leben.
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